...Das Outfit hat sich zwar verändert, aber die Sehnsucht nach Aufbruch und Begegnung mit dem Lebendigen ist geblieben.
Wenn auch Studien gezeigt haben, dass die ersten Gehminuten vom Fußgänger als länger empfunden werden, als sie in Wirklichkeit sind, so stellt sich doch bald im Rhythmus der Schritte ein Wohlempfinden ein. Durch eigene Bewegung kommt die Atmung, der Kreislauf und der Stoffwechsel in eine lebendige Harmonie. Die Empfindung von Kraft stellt sich ein. Statt Zumutung kommt Anmutung zum Zug. Obligatorische Bewegung ist durch den „Fortschritt“ ins Hintertreffen geraten. Statt eigenen Schritten, dominiert passives bewegt werden. Dieser Verlust an eigener Dynamik wurde von der Jugend vor gut 100 Jahren als Mangel erkannt und mit Elan wurde, in der sogenannten Jugendbewegung, das Wandern in die Tat umgesetzt: Der Rucksack wurde gepackt, die Wanderschuhe angezogen, die Wanderkarte studiert und los ging’s in Wald und Flur. Die Sehnsucht nach Bewegung und Naturkontakt ist ein Grundbedürfnis. Mögen möglichst viele junge Menschen den Zugang zu einem so einfachen wie wirkungsvollen Ausgleich finden, trotz aller medialen Ablenkung!
Außer der Landschaft wurde auch die früher noch extrem artenreiche Pflanzenwelt intensiv wahrgenommen. Heute ist das Bewusstsein in ganz anderer Weise gewachsen: an vielen Orten ist die Vielfalt stark zurückgegangen und ein Sträußchen zu pflücken ist nicht mehr angesagt. Noch vor 50 Jahren legte jeder dem Apothekerberuf zustrebende Praktikant und jede Praktikantin eine Herbarium genannte Sammlung von gepressten Pflanzen an. Diese umfasste meist 150 bis 200 Exemplare. Um das Sammeln ist es nicht schade, da mit Digital- kameras und Handys alles festgehalten werden kann und die Pflanzenbestände geschont werden. Die Begegnung mit dem Lebendigen wird zunehmend wertgeschätzt. Die Dimension lebendiger Phänomene haben die Menschen wegen der Nutzbarkeit oder in einem zu mechanistischen Weltbild lange unterschätzt. In den 60er Jahren des 20.Jahrhunderts wurde die Biochemie in Tübingen als ein Studiengang eingeführt. Der hervorragende Biochemiker Prof. Karl Günther Weitzel war so begeistert von seinem Fach, dass er in der Vorlesung verkündete: „in zwei bis drei Jahren werden wir das Leben künstlich herstellen können“ (persönliche Erinnerung). Man weiß heute enorm viel mehr über die chemischen Zusammenhänge im Körper. Und steht heute wieder voller Respekt vor der unglaublichen Vielfalt der Lebensvorgänge und der Komplexität einzelner Organe, wie z.B. dem Gehirn. Natur ist so viel mehr! Achten und Schützen wir die natürlichen Lebensräume und erfreuen uns an deren heilsamer Wirkung auf Körper und Geist.
Hansdieter Beck